Haus der Genealogie (HdGEN)

Bereits im Jahre 2012 habe ich erstmals die Idee eines Hauses der Genealogie (HdGEN) der Öffentlichkeit vorgestellt. Ich gebe hier meinen Beitrag aus dem Jahr 2013 wieder (allerdings ohne Fußnoten)

Haus der Genealogie (1)

Dirk Weissleder

Der Genealogie in Deutschland fehlt es an einer festen Heimstatt – organisatorisch und räumlich. Es fehlt an einem gemeinsamen Haus, wenngleich es mit der Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände e. V. (DAGV) bereits ein (gemeinsames) Dach der Genealogie gibt. Niemand hat jedoch bislang einen Spaten in die Hand genommen und tatsächlich versucht, ein solches Gebäude zu errichten, noch nicht einmal virtuell auf dem Reißbrett. Die Idee eines Hauses der Genealogie („Maison de la Généalogie“) versteht sich als Ausdruck einer „nachhaltigen Genealogie in Deutschland, die über den Tag hinauswirkt“ , wie vom Vorsitzenden der DAGV auf dem 64. Deutschen Genealogentag in Augsburg gefordert. Dieser Beitrag soll eine grundsätzliche Meinungsbildung im Umfeld der für Ende April 2013 in Göttingen geplanten Ideenwerkstatt – Gesamttagung der DAGV-Vereine – befördern. Die Zeitschrift GENEALOGIE bietet als Organ des Dachverbandes das passende Forum einer lang angelegten Diskussion.

Das Haus der Genealogie

Zum jetzigen Zeitpunkt kann es nur darum gehen, die tragenden Säulen eines solchen Hauses der Genealogie zu beschreiben und etwaig fehlende später in das Konzept zu übernehmen. Schon heute wird jedoch deutlich, dass ein Gesamtarchiv der Genealogie eine der tragenden Säulen sein dürfte, die in einem späteren Beitrag vorgestellt werden wird. Bei der Konzeptentwicklung eines Hauses der Genealogie muss es darum gehen, zum einen die Vielartigkeit der vorhandenen Strukturen zu beachten und zum anderen um vorhandene Traditionslinien zu wissen. Vieles wurde bereits schon einmal vorgedacht. Das Haus der Genealogie könnte in der Fortsetzung politisch-neutraler Traditionen, die z.T. bis ins Deutsche Kaiserreich zurückgreifen, etwas ganz Besonderes sein. Wir sind heute als Familiengeschichtsforscher weltweit vernetzt, wir haben gelernt, dass Genealogie verbindet und verbinden kann. Langfristig muss es darum gehen, zu wissen, welche Quellen vorhanden ist, welche Forschungs- und Dokumentationslandschaft überhaupt vor uns liegt. Desweiteren sollte es Ziel, insbesondere des Dachverbandes der DAGV sein, ein Projekt zu erschaffen, an dem sich organisierte wie nicht-organisierte Genealoginnen und Genealogen einbringen und beteiligen können („MitMachProjekt“).

Die Idee eines Hauses der Genealogie ist in Wahrheit nicht weniger als die Renaissance der Genealogie in Deutschland, die vorhandene Teile heute, weltoffen und befreit von Ideologien, wieder zusammenfügen kann. Viele historische Entwicklungen und Impulsorte der Genealogie sind heute vielfach gar nicht mehr im Bewusstsein, beispielsweise die Gründung des Roland 1902 in Dresden oder die der Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte 1904 in Leipzig, als bürgerschaftliche Aktivitäten. Bald 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, bald 25 Jahre nach der Wiedervereinigung kann, darf undmuss es darum gehen, die einzelnen, verstreut liegenden Teile des Corpus Genealogia zusammenzufügen. Anders als in der analogen Welt der Vergangenheit geht es nicht um die Gefahr, dass etwas weggenommen werden könnte, sondern darum, dass Quellen verlorengehen oder Forschungsergebnisse in der Masse des Materials nicht aufgefunden werden könnten. Die wirklichen Gefahren liegen also im „Verschlafen von Chancen“ und im Verlust wertvoller Quellen und Forschungsergebnisse. Das Haus der Genealogie soll helfen, Wissen und Material der Genealogie in Deutschland zu strukturieren und zugleich eine Wissens-Landkarte der Genealogie in Deutschland zu erstellen. Durch eine strukturiere und damit nachhaltige Vernetzung des vorhandenen genealogisch-familiengeschichtlichen Wissens im (auch nur) „virtuellen Aufbau“ eines solchen Gebäudes, wäre ein qualitativer Sprung in eine neue Dimension der genealogisch-familiengeschichtlichen Forschung möglich. Alles Getrennte kann nunmehr ortsunabhängig und digital zumindest als Verweise zusammenführt werden.

Die tragenden Säulen

Folgende Säulen könnte das Gebäude eines „Hauses der Genealoge“ tragen:

I. Die Strukturen der (organisierten) Genealogie

Die Strukturen der (organisierten) Genealogie in Deutschland stellen den besonderen Wert der zumeist in Vereinen betriebenen Forschungsaktivitäten dar. Die Vereine sind das Rückgrat der Genealogie in Deutschland. Hierzu zählen kleine und große, regionale wie überregionale Vereine und natürlich die Dachverbände, zählen alle bestehenden und historischen Strukturen. Im Kern steht die DAGV als Interessenvertretung der Genealoginnen und Genealogen in Deutschland. Desweiteren sind hiermit eine (virtuelle) Geschäftsstelle, Webpräsenzen, themenbezogene Arbeitskreise und gemeinsame Forschungsprojekte zu verstehen (beispielsweise Bevölkerung in Deutschland vor 1648, Genealogie im Nationalsozialismus, Genealogie in der DDR, Frauen in der organisierten Genealogie uvm).

II. Die Ideengeschichte der (organisierten) Genealogie

Mit der Ideengeschichte der (organisierten) Genealogie ist der gesamte gedankliche und programmatische Hintergrund sowohl von Einzelpersonen als auch der einzelnen Vereinigungen und Dachverbände gemeint. Hinzu kommt die gesamte Methodenlehre der Genealogie, die das „Wissensgebäude“ komplettiert. Dabei stehen sich a) Genealogie als historische Hilfswissenschaft und b) die praktische Genealogie gleichberechtigt gegenüber.

III. Gesamtarchiv der Genealogie in Deutschland (DAGV)

Hierunter ist eine zentrale Anlaufstelle, eine zentrale Fundstellennachweisstelle (der DAGV) in Deutschland zu verstehen. Hinzu treten könnten die Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte, Archive und Bibliotheken der einzelnen Vereine sowie der DAGV, ein Archiv der Geschichte der DAGV-Vereine, ein BundesFamilienArchiv (BFA), ein Archiv der Familienverbände, zusammen also ein „Archiv der organisierten Genealogie“ bilden.

IV. Gesamtheit der genealogisch-familiengeschichtlichen Literatur

Eine weitere Säule des Hauses der Genealogie beinhaltet das gesamte Schrifttum, Monographien, sonstige gedruckte Quellen wie Schriftenreihen, Vereinszeitschriften, Zeitschriften der Familienverbände u.ä. Ein bereits heute vorhandenes Glanzstück ist die Familienkundliche Literaturdatenbank in Fortführung der Familiengeschichtlichen Bibliographie.

V. Primäre und sekundäre Quellen der genealogischen Forschung

Neben den Kirchenbüchern, Standesamts- und Einwohnermeldeakten sowie sonstigen Archivalien und Urkunden sind hier speziell die in Deutschland einzigartigen OrtsFamilienBücher (OFB) zu nennen.

VI. Persönlichkeiten der Genealogie

Hierunter fallen alle Einzelforscher/Einzelpersönlichkeiten, für die eine BioBibliographie erstellt werden kann. Hinzu kommen beispielsweise alle Preisträger genealogisch-heraldischer Auszeichnungen (in den Vereinen und Institutionen).

VII. Genealogisch-familiengeschichtlich-onomastische Datenbanken

Eine weitere wichtige Säule des Hauses der Genealogie bilden die bereits erwähnte Familienkundliche Literaturdatenbank sowie alle weiteren Datenbanken wie beispielsweise FoKo (ForscherKontakte) und das Genealogische Ortsverzeichnis (GOV), namensgeschichtliche Nachweise könnten dazukommen.

VIII. Schaufenster der Genealogie

Unter dem „Schaufenster der Genealogie“ sind alle Veranstaltungen gemeint, die sich auch und besonders an die Öffentlichkeit wenden, wie der jährliche Deutsche Genealogentag sowie sonstige (regionale) Veranstaltungen und Seminare.

IX. Internationale Zusammenarbeit

Für genealogische Forschungen wird es zunehmend wichtiger, den regionalen und nationalen Blick zu weiten und sich international auszutauschen. Hierzu gibt es dankenswerterweise seit vielen Jahrzehnten Internationale Kongresse, Internationale Akademien für Genealogie und Heraldik, Konferenzen sowie ausländische Dachverbände und Vereinigungen. Durch die vielfältigen Kontakte der DAGV und ihrer einzelnen Mitgliedsvereine ist die internationale Zusammenarbeit beschrieben, die eine weitere wichtige Säule des Hauses der Genealogie bildet.

X. Finanzielle Grundlage

Keine noch so kleine Idee kann ohne die entsprechende finanzielle Ausstattung realisiert werden. Eine dauerhafte Finanzierung durch die öffentliche Hand ist nicht nur unrealistisch, sondern würde auch unerwünschte Abhängigkeiten schaffen, so dass die Genealoginnen und Genealogen zukünftig, wenn sie wirklich etwas in dem hier dargestellten Sinne erreichen wollen, die Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen müssen. Konkret heißt dies, über das Einwerben von Spenden, die Gründung eines „Fördervereins Haus der Genealogie – Gesamtarchiv der Genealogie“, beispielsweise als 100-prozentige Tochter der DAGV, die die Aufnahme von Einzelpersonen, Vereinen, Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen sowie das Überlassen von Forschungsberichten von Einzelpersonen ermöglichen würde, nachzudenken, ohne die Architektur der heute bestehenden Vereinslandschaft zu gefährden. Auch die Errichtung einer Stiftung könnte in Betracht kommen.

Zusammenfassend

Die hier aufgezeigten zehn Säulen eines Hauses der Genealogie sind ein erster Diskussionsbeitrag, dem noch weitere folgen sollen. Alles zusammen beschreibt die „Genealogie der Genealogie in Deutschland“, denn das Fundament aller Ideen und Strukturen bildet die gemeinsame historische Entwicklung. Kristallisationspunkt möglicher Entwicklungen sollte die DAGV als Dachverband der Genealogie in Deutschland sein. Ihre Aufgabe ist es, die Interessen der Vereine und Einzelpersonen zu bündeln sowie Perspektiven für die Zukunft der Familiengeschichtsforschung in Deutschland zu entwickeln.

Keiner der hier dargestellten Gedanken muss, kann und soll der Weisheit letzter Schluss sein. Deshalb soll hierdurch ein Diskussionsprozess in Gang gesetzt werden, der die vorgestellte Idee weiter konkretisiert und das Machbare vom Wünschenswerten unterscheidet. Wie wäre es mit einer Genealogischen Genossenschaft eG als basisnahe Organisationsform, in der alle Beteiligten nicht nur gleichberechtig agieren, sondern ihre (Genossenschafts-) Anteile auch noch Ihren Nachkommen vermachen können? Eine Idee, die sicherlich bei Genealoginnen und Genealogen auf Interesse stoßen dürfte. Wer eine wirklich „nachhaltige Genealogie“ will, der muss Strukturen schaffen, die von heute agierenden Personen unabhängig und dauerhaft stabil sind. Zweifelsohne befindet sich die Familiengeschichtsforschung in einem Veränderungsprozess, den es aktiv zu gestalten gilt. Hierzu soll die Diskussion um die Idee eines „Hauses der Genealogie“ beitragen. Große Projekte brauchen große Visionen. Fangen wir an!

Veröffentlicht in: GENEALOGIE 01/2013, S.387 – S.390.

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